Visual (Archive) Radio
Die Zukunft der Medienarchive kreativ gedacht
So beschäftigt sich das Referat Recherche und Sonderprojekte (kurz Recherchedesk; Teil der Hauptabteilung Archive, Dokumentation, Recherche) des Bayerischen Rundfunks, in welchem ich im Januar 2018 mein zweijähriges Volontariat startete, intensiv mit der Ausspielung historischer Videoclips. Seit Ende 2015 kooperiert der Recherchedesk für das "Zeitreise"-Format mit der Nachrichtenredaktion BR24, die unter dem Hashtag #BR24Zeitreise regelmäßig unbearbeitete Archivclips auf ihren Social-Media-Kanälen und in der BR Mediathek veröffentlicht.
Aufgrund dieser starken Fokussierung auf Fernsehmaterial entwickelte ich ein audiovisuelles Format, welches in erster Linie auf Hörfunkbeiträgen basieren sollte. Dieses Vorhaben machte ich zum Gegenstand meiner Projektarbeit, die ich zum Abschluss des Zertifikatslehrgangs für wissenschaftliche Dokumentation an der Hochschule Darmstadt erfolgreich umsetzte.
Aufgrund dieser starken Fokussierung auf Fernsehmaterial entwickelte ich ein audiovisuelles Format, welches in erster Linie auf Hörfunkbeiträgen basieren sollte. Dieses Vorhaben machte ich zum Gegenstand meiner Projektarbeit, die ich zum Abschluss des Zertifikatslehrgangs für wissenschaftliche Dokumentation an der Hochschule Darmstadt erfolgreich umsetzte.
Mit "Archivschätzen" erfolgreich auf Social Media
Die Reformen des Telemedienauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland hatten in den vergangenen Jahren eine starke Liberalisierung der Nutzung von Social-Media-Plattformen zur Folge (Medienkorrespondenz 2019). Mittlerweile sind fast alle Sender (oder gar Sendungen) auf Facebook, YouTube, Instagram und Co. vertreten, um die Reichweite eigener Inhalte zu erhöhen, um auf die Bedürfnisse der KonsumentInnen gezielter reagieren zu können oder um Bedürfnisse erst neu zu schaffen. Zusätzlich zum regulären, programmbegleitenden Content veröffentlichen zahlreiche Redaktionen Videoclips, die ausschließlich für ihre Social-Media-Kanäle produziert werden. Dabei haben sich insbesondere kurzweilige, unterhaltsame Videoclips zu emotionalen Themen bewährt. Neben erhaltenen Views lässt sich eine (positive) Rezeption durch die Reaktionen der UserInnen messen, also in "Likes", "Shares", "Comments", etc. Darüber hinaus darf der Konkurrenzkampf zwischen den von Medienhäusern betriebenen Social-Media-Kanälen nicht außer Acht gelassen werden: Um dauerhaft hohe Reichweiten zu erzielen, sind die BetreiberInnen aufgefordert, regelmäßig neue Formate einzuführen.
Das Veröffentlichen von zielgruppengerecht aufbereiteten Archivinhalten via Social Media bietet öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Zeiten des mobilen, digitalen Medienkonsums die Chance, ihrer Rolle als "Hüter" des audiovisuellen Kulturerbes neu zu denken und Rufen nach einer rigorosen Archivöffnung nachzukommen. Nicht nur das Archiv des Bayerischen Rundfunks hat mit der #BR24Zeitreise darauf reagiert: Unter #abgestaubt postet der ORF vor allem Kochsendungsausschnitte von anno dazumal auf Facebook. Die SRG Deutschschweiz bietet über die Streamingdienste Spotify, iTunes und Podigee den Podcast "Radio Retro" an, der auf Hörfunkschätzen basiert. Und auch die Beitragsreihe "Archivradio" von SWR 2 arbeitet stark mit historischem Audiomaterial.
Während Fernsehproduktionen ohne großen Mehraufwand für die ausschnittsweise Wiederverwertung verwendet werden können, wie es etwa die genannten Beispiele #BR24Zeitreise oder #abgestaubt vormachen, fehlen Hörfunkbeiträgen die visuelle Komponente. Visualität hat lediglich in jenen Produktionen keinen hohen Stellenwert, die passiv konsumiert werden können und daher bewusst keine ständige, aktive Bildschirmnutzung voraussetzen, wie etwa Podcasts. Eine unglückliche Ausgangslage für die unzähligen "Hörfunkschätze", welche in den Archiven der Öffentlich-Rechtlichen auf ihre Wiederentdeckung warten und mit der ich mich zu Projektbeginn intensiv auseinandersetzen musste. Denn anders als bei Radiobeiträgen, die über Webauftritte und Media- bzw. Audiotheken abrufbarbar sind (mit einem einzelnen Foto als Teaserbild versehen, da sonst nur das schwarze Mediaplayerfenster angezeigt werden würde), sollten die AV-Clips, welche ich im Rahmen meiner Projektarbeit entwickelte, mit einer inhaltsbezogenen Bildfolge visualisiert werden. Dafür experimentierte ich mit Fernsehbeiträgen und Fotografien aus den BR-Archiven, Audiogrammen und der textuellen Hervorhebung von Zitaten. Aber auch Karten und Grafiken eignen sich zur Visualisierung. Vorbild für mein Konzept war das Format "Visual Radio", welches bereits von zahlreichen Hörfunk- und Online-Redaktionen erfolgreich eingesetzt wird (Meyer 2016). Eine eindeutige Definition für den Begriff gibt es jedoch nicht: So bezeichnen manche Radiostationen die Online-Übertragung aus dem Studio via Live-Cam als "Visual Radio" und auch das beliebte Scrollytelling fällt oftmals in diese Kategorie.
Das Veröffentlichen von zielgruppengerecht aufbereiteten Archivinhalten via Social Media bietet öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Zeiten des mobilen, digitalen Medienkonsums die Chance, ihrer Rolle als "Hüter" des audiovisuellen Kulturerbes neu zu denken und Rufen nach einer rigorosen Archivöffnung nachzukommen. Nicht nur das Archiv des Bayerischen Rundfunks hat mit der #BR24Zeitreise darauf reagiert: Unter #abgestaubt postet der ORF vor allem Kochsendungsausschnitte von anno dazumal auf Facebook. Die SRG Deutschschweiz bietet über die Streamingdienste Spotify, iTunes und Podigee den Podcast "Radio Retro" an, der auf Hörfunkschätzen basiert. Und auch die Beitragsreihe "Archivradio" von SWR 2 arbeitet stark mit historischem Audiomaterial.
Während Fernsehproduktionen ohne großen Mehraufwand für die ausschnittsweise Wiederverwertung verwendet werden können, wie es etwa die genannten Beispiele #BR24Zeitreise oder #abgestaubt vormachen, fehlen Hörfunkbeiträgen die visuelle Komponente. Visualität hat lediglich in jenen Produktionen keinen hohen Stellenwert, die passiv konsumiert werden können und daher bewusst keine ständige, aktive Bildschirmnutzung voraussetzen, wie etwa Podcasts. Eine unglückliche Ausgangslage für die unzähligen "Hörfunkschätze", welche in den Archiven der Öffentlich-Rechtlichen auf ihre Wiederentdeckung warten und mit der ich mich zu Projektbeginn intensiv auseinandersetzen musste. Denn anders als bei Radiobeiträgen, die über Webauftritte und Media- bzw. Audiotheken abrufbarbar sind (mit einem einzelnen Foto als Teaserbild versehen, da sonst nur das schwarze Mediaplayerfenster angezeigt werden würde), sollten die AV-Clips, welche ich im Rahmen meiner Projektarbeit entwickelte, mit einer inhaltsbezogenen Bildfolge visualisiert werden. Dafür experimentierte ich mit Fernsehbeiträgen und Fotografien aus den BR-Archiven, Audiogrammen und der textuellen Hervorhebung von Zitaten. Aber auch Karten und Grafiken eignen sich zur Visualisierung. Vorbild für mein Konzept war das Format "Visual Radio", welches bereits von zahlreichen Hörfunk- und Online-Redaktionen erfolgreich eingesetzt wird (Meyer 2016). Eine eindeutige Definition für den Begriff gibt es jedoch nicht: So bezeichnen manche Radiostationen die Online-Übertragung aus dem Studio via Live-Cam als "Visual Radio" und auch das beliebte Scrollytelling fällt oftmals in diese Kategorie.
Projektergebnis: Entwicklung eines Geschäftsprozesses
Ziel des "Visual (Archive) Radio"-Projekts war die Entwicklung einer Strategie zur Visualisierung von Hörfunkbeiträgen aus dem Archiv des BR für die Online-Publikation, um der geringeren Online-Reichweite reiner Audios ein neues Konzept entgegenzusetzen. Als Ergebnis legte ich bei der Projektpräsentation an der Hochschule Darmstadt im November 2019 einen praxistauglichen Geschäftsprozess vor, der alle relevanten Arbeitsschritte – vom (redaktionellen) Anforderungsprofil, der Materialrecherche, Konzepterstellung über die Produktion und Distribution bis hin zur Archivierung – beinhaltete. Dieser soll dem Recherchedesk des BR künftig als Vorlage dienen, um Redaktionen audiovisuelle Clips zu aktuellen Themen selbstständig anbieten zu können. Mit diesem Angebot erweitert das Referat sein Portfolio und festigt seine Stellung als hausinterner Dienstleister.
Um die Realisierbarkeit des Projekts zu gewährleisten, stand die Visualisierung kurzer Hörfunkbeiträge (mit einer maximalen Länge von 2 Minuten) und deren Veröffentlichung auf dem Facebook-Kanal eines Stakeholders, der Redaktion Digitales und Dialog des Hörfunksenders Bayern 2, im Fokus. Zur Prozessoptimierung wurden mehrere audiovisuelle Clips erstellt, wovon Bayern 2 vor Projektabschluss zwei auf seinem Facebook-Kanal veröffentlichte ("150 Jahre Schloss Neuschwanstein" am 5.9.2019 und "Der Skilehrer" am 16.11.2019). Während dieses Spezifizierungsprozesses testete ich verschiedene Produktionstechniken und Softwares, wie die kostenlose Version von Headliner. Aufgrund der eingeschränkten Funktionalitäten dieses webbasierten Schnitttools wurde der Recherchedesk schließlich mit einem eigenen Schnittarbeitsplatz ausgestattet: Die Lizenzanschaffung für die Softwares Adobe Photoshop und Adobe Premiere Pro stellte die einzigen realen Kosten dar, die für die Hauptabteilung Archive, Dokumentation, Recherche zur erfolgreichen Umsetzung dieses Projekts anfielen.
Um die Realisierbarkeit des Projekts zu gewährleisten, stand die Visualisierung kurzer Hörfunkbeiträge (mit einer maximalen Länge von 2 Minuten) und deren Veröffentlichung auf dem Facebook-Kanal eines Stakeholders, der Redaktion Digitales und Dialog des Hörfunksenders Bayern 2, im Fokus. Zur Prozessoptimierung wurden mehrere audiovisuelle Clips erstellt, wovon Bayern 2 vor Projektabschluss zwei auf seinem Facebook-Kanal veröffentlichte ("150 Jahre Schloss Neuschwanstein" am 5.9.2019 und "Der Skilehrer" am 16.11.2019). Während dieses Spezifizierungsprozesses testete ich verschiedene Produktionstechniken und Softwares, wie die kostenlose Version von Headliner. Aufgrund der eingeschränkten Funktionalitäten dieses webbasierten Schnitttools wurde der Recherchedesk schließlich mit einem eigenen Schnittarbeitsplatz ausgestattet: Die Lizenzanschaffung für die Softwares Adobe Photoshop und Adobe Premiere Pro stellte die einzigen realen Kosten dar, die für die Hauptabteilung Archive, Dokumentation, Recherche zur erfolgreichen Umsetzung dieses Projekts anfielen.
Das dritte Format baute auf dem Konzept der #BR24Zeitreise auf: Das selbstgesetzte Ziel lautete, eine einfach stukturierte Produktion auf Basis eines einzelnen Audios zu erstellen, die zu den üblichen Themen des Stakeholders Bayern 2 Digitales und Dialog passt (z.B.: Bayern, Identität, Berge und Sport). Das Audio stammte aus der Hörfunksendung "Münchner Brettl" aus dem Jahr 1959, in welcher das Ensemble "Die Isarspatzen" den Titel "Typen im Skihotel" vortrug. Einer dieser „Typen“ ist der Skilehrer, der im November 2019 auf dem Facebook-Kanal von Bayern 2 online ging. Ein weiterer AV-Clip in diesem Format, dessen Audiospur derselben Sendung entnommen wurde, stellte den "Après-Ski Playboy" vor. Dieser Clip wurde allerdings erst nach der Projektpräsentation veröffentlicht.
Wie bereits erwähnt soll der entstandene Geschäftsprozess dem Referat Recherche und Sonderprojekte des BR eine Grundlage für die selbstständige Produktion von AV-Clips bieten. Jedoch ist es nach aktuellem Stand nicht realistisch, dass die MitarbeiterInnen des Recherchedesks diese Dienstleistung – zusätzlich zum Tagesgeschäft – laufend anbieten können. Daher ist es sinnvoll, bei fehlenden zeitlichen Kapazitäten – oder falls die Clip-Anforderungen das technische und gestalterische Know-How der MitarbeiterInnen übersteigen sollte –, mit der Produktion KollegInnen aus der Mediengestaltung zu beauftragen.
Wie bereits erwähnt soll der entstandene Geschäftsprozess dem Referat Recherche und Sonderprojekte des BR eine Grundlage für die selbstständige Produktion von AV-Clips bieten. Jedoch ist es nach aktuellem Stand nicht realistisch, dass die MitarbeiterInnen des Recherchedesks diese Dienstleistung – zusätzlich zum Tagesgeschäft – laufend anbieten können. Daher ist es sinnvoll, bei fehlenden zeitlichen Kapazitäten – oder falls die Clip-Anforderungen das technische und gestalterische Know-How der MitarbeiterInnen übersteigen sollte –, mit der Produktion KollegInnen aus der Mediengestaltung zu beauftragen.
Der Verein für Medieninformation und Mediendokumentation veröffentlichte diesen Artikel in seiner Fachpublikation "Info 7": Hauptmann 2020: Visual (Archive) Radio. Die Zukunft der Medienarchive kreativ gedacht. In: Info7 1/2020, S. 29-32
Quellenverzeichnis
Medienkorrespondenz 2019: Mehr Spielraum für ARD und ZDF bei Online-Abrufen, unter: https://www.medienkorrespondenz.de/politik/artikel/mehr-spielraum-fuer-ard-und-zdf-bei-online-abrufen.html, abgerufen am: 28.10.2019
Meyer, Michael 2016: Radio sichtbar machen. Neue Wege im „Visual Radio“ [Radiobeitrag], unter: https://www.br.de/radio/b5-aktuell/sendungen/medienmagazin/medien-visual-radio-wie-das-radio-sichtbar-werden-kann-100.html, abgerufen am: 05.03.2019
Medienkorrespondenz 2019: Mehr Spielraum für ARD und ZDF bei Online-Abrufen, unter: https://www.medienkorrespondenz.de/politik/artikel/mehr-spielraum-fuer-ard-und-zdf-bei-online-abrufen.html, abgerufen am: 28.10.2019
Meyer, Michael 2016: Radio sichtbar machen. Neue Wege im „Visual Radio“ [Radiobeitrag], unter: https://www.br.de/radio/b5-aktuell/sendungen/medienmagazin/medien-visual-radio-wie-das-radio-sichtbar-werden-kann-100.html, abgerufen am: 05.03.2019
English summary: Rethinking the Future of Media Archives Creatively
It is not only programme-makers who work out concepts for the re-use of broadcast television and radio pieces. Media archives like the one at Bavarian Broadcasting, where I worked from early 2018 to late 2019, are also developing ideas to present exceptional archive content to a wider audience. Due to a usually strong focus on television material, I created an audio-visual format based on radio pieces. The output of the "Visual (Archive) Radio" project comprised four audio-visual clips dealing with music, news coverage and cabaret.
It is not only programme-makers who work out concepts for the re-use of broadcast television and radio pieces. Media archives like the one at Bavarian Broadcasting, where I worked from early 2018 to late 2019, are also developing ideas to present exceptional archive content to a wider audience. Due to a usually strong focus on television material, I created an audio-visual format based on radio pieces. The output of the "Visual (Archive) Radio" project comprised four audio-visual clips dealing with music, news coverage and cabaret.